„Unternehmen haben ein Eigeninteresse an gesellschaftlichem Engagement“
Interview mit Prof. Dr. Dr. Wallacher

Wieso engagieren sich Unternehmen überhaupt gesellschaftlich? Was haben sie davon? Sind Unternehmer moralischer als der Durchschnitt der Bevölkerung? Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher ist Präsident der Münchner Hochschule für Philosophie und befasst sich seit vielen Jahren mit Fragen der Unternehmensverantwortung. Im Interview erklärt er, wieso Unternehmen nicht altruistisch sein müssen und dennoch gesellschaftliche Verantwortung tragen. Die Veröffentlichung wurde freundlicherweise von der Jesuitenmission genehmigt.

Herr Prof. Wallacher, auch in einer sozialen Marktwirtschaft müssen Unternehmen gewinnmaximierend denken, um auf dem konkurrierenden Markt zu überleben. Bleibt da überhaupt Platz für altruistische Handlungen?

Ich halte altruistisch in diesem Zusammenhang für einen nicht genau treffenden Begriff. Es geht vielmehr um die soziale und ökologische Verantwortung eines Unternehmens. Ein Unternehmen ist immer Teil einer Gesellschaft. Insofern ist es auf gute Regierungsführung, Rechtssicherheit und eine verlässliche Verwaltung, intakte Umweltbedingungen, aber auch auf soziale Stabilität und sozialen Frieden angewiesen. Und als Teil dieser Gesellschaft, als Unternehmensbürger, müssen sie auch einen Beitrag dazu leisten – schon aus Eigeninteresse, aber auch auf Grund ihrer verantwortlichen Verpflichtung. Und: Unternehmen müssen gewinnorientiert sein, aber keineswegs immer Gewinne maximieren. Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Worin besteht dieses Eigeninteresse genau?

Das Eigeninteresse besteht darin, dass ein Unternehmen nur dann auf Dauer wirtschaftlich erfolgreich tätig sein kann, wenn die genannten gesellschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Das alles gibt es nur, wenn die Menschen ein erträgliches Auskommen haben, wenn die Ungleichheit nicht zu stark ist, wenn Arbeitsplätze mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen geschaffen werden und wenn man sorgsam mit den natürlichen Ressourcen und der Umwelt umgeht.

Um dies zu gewährleisten, müssen Unternehmen einen ganz entscheidenden Beitrag leisten, weil sie vergleichsweise viel wirtschaftliche und inzwischen auch politische Macht haben. Sie sind wichtige Player für das Gemeinwohl. Wenn man das dann in die ethische Kategorie der Verantwortung übersetzt, dann bedeutet das nicht nur, dass Unternehmen nachträglich für Fehlverhalten zur Rechenschafft gezogen werden. In einer immer komplexeren Welt sind sie in einem vorausschauenden SInne als Unternehmensbürger herausgefordert, ihre je eigene Antwort auf Herausforderungen zu geben – hier sind die Unternehmen dann aus Eigeninteresse, aber auch aus moralischen Gründen gefragt, diesen Beitrag zu leisten.

Haben also Unternehmen auch ein existenzielles Interesse daran, sich für das Gemeinwohl einzusetzen?

Ja. Sie sind nicht nur an sozialem Frieden interessiert, sondern besonders auch an qualifizierten und motivierten Mitarbeitern. Ein immer wichtigerer Faktor bei der Nachfrage von Arbeit ist beispielsweise nicht nur die Lohnhöhe. Auch im Sinn der Tätigkeit sehen viele junge qualifizierte ArbeitnehmerInnen eine wichtige Bedeutung. Das heißt, dass auch in Zeiten des Fachkräftemangels und des demographischen Übergangs die Frage nach einer verlässlichen Sinnstiftung zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor geworden ist.

Unternehmen können also nicht rein altruistisch handeln?

Das ist die falsche Fragestellung. Unternehmen dürfen einerseits nicht naiv altruistisch sein. Sie dürfen andererseits aber auch nicht strikt egoistisch und eigennützig sein. Denn erstens erkennt man authentisches Unternehmerhandeln auch daran, dass sich Unternehmen nicht nur verantwortlich verhalten, um gut dazustehen. Das wäre auf Dauer keine tragfähige Basis. Eine Unternehmensleitung muss auch ein Gespür dafür entwicklen, dass es ein Wert an sich ist, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen indem sie gute Arbeitsplätze anbietet, gut mit ihren Zulieferern umgeht, indem sie den Umweltschutz wirklich ernst nimmt.

Haben Unternehmen in Anbetracht der aktuellen globalen Herausforderungen, wie Klimawandel, Ressourcenknappheit oder demographischer Wandel ein rein wirtschaftliches Interesse an gesellschaftlicher Verantwortung, weil knappe Ressourcen immer teurer werden?

Das ist die eigennützige Perspektive. Allerdings sollten wir immer auch die Zeithorizonte betrachten. Das ist das Entscheidende. Denn wenn ich in der Logik des Eigeninteresses bleibe, dann ist es in der langfristigen Perspektive für Unternehmen natürlich immer gut die Ressourcen zu schonen und gut mit den MitarbeiterInnen umzugehen. Aber wenn ein Unternehmen ausschließlich dieser Logik des Eigeninteresses folgt, wenn ein Unternehmen die anderen kooperieren lässt und selbst diesen Kooperationsvorteil nochmal zum eigenen Vorteil untergräbt, indem es sich etwa als Trittbrettfahrer verhält, wird es schwierig. Deshalb muss immer auch eine gewisse Grundeinstellung dazugehören, dass es ein Wert an sich ist, Menschen menschenwürdig zu behandeln, dass es ein Wert ist, effizient mit den Ressourcen umzugehen. Wenn ich diese Einstellung nicht habe, werde ich andere nicht davon überzeugen. Wenn jemand nur moralisch handelt, um seine Reputation auf Dauer zu sichern, dann geht das gegen mein wirtschaftsethisches Grundverständnis. Das wäre eine rein verzweckte Sicht von Moral, die auf Dauer nicht tragfähig sein wird.

Global tätige Unternehmen haben ein sehr hohes – oft weltweites – Einflussgebiet. Erkennen die Unternehmen die Verantwortung, die daraus entsteht?

Es gibt den alten ethischen Grundsatz: Das Sollen setzt das Können voraus. Je mehr Macht und je mehr Handlungsspielraum ich habe, umso höher ist die gesellschaftliche Verantwortung. Es sind vor allem die großen Unternehmen, die bei diesen globalen Herausforderungen in Vorleistung gehen müssen. Und zwar nicht nur in ihrem eigenen Handeln, indem sie beispielsweise mit effizienten technologischen Innovationen die Umweltverträglichkeit stärken.

Mindestens genauso wichtig ist ihre ordnungspolitische Mitverantwortung. Das heißt, dass Unternehmen ihre Macht auch nutzen, um der Politik das Signal zu geben, dass sie sich langfristig stabile Rahmenbedingungen wünschen. Dabei unterstützen sie die Politik, indem Unternehmen zum Beispiel sagen: wir unterstützen die Regierung, sich für eine langfristige Begrenzung der CO2-Emmissionen einzusetzen, indem wir einen klar verlässlichen Fahrplan zur Dekarbonisierung mittragen, anstatt Lobbyarbeit dagegen zu machen oder gar zu betrügen, wie etwa im Fall Volkswagen.

Sie tragen es mit, weil sie es für sinnvoll erachten und wenn sich alle an solche Rahmenbedingungen halten müssen, dann können sie diesen Weg auch gehen ohne im Wettbewerb Nachteile zu erzielen.

Wie ist Ihre Erfahrung zum freiwilligen sozialen Einsatz von Unternehmen?

Unternehmer und Manager handeln nicht moralischer oder unmoralischer als der Durchschnitt der Menschen. Man muss immer die Rahmenbedingungen beachten, unter denen sie sich engagieren können. Tendenziell haben kleine, mittelständische und personengebundene Unternehmen von sich aus einen Anreiz langfristiger und verantwortlicher zu denken, weil sie ihr Unternehmen auch den zukünftigen Generationen übergeben wollen und weil sie einen näheren Kontakt zu ihren Kunden und Zulieferern haben. Das ist für große, börsennotierte Unternehmen, die oft von den Renditeerwartungen der institutionellen Investoren getrieben werden, schwieriger, aber nicht unmöglich.

Es hängt also davon ab, ob eine Unternehmensleitung im personengeführten oder börsennotierten Unternehmen wirklich glaubwürdig für diese Werte einsteht. Es kann im Einzelfall immer auch zu Zielkonflikten kommen, aber ich glaube, die Glaubwürdigkeit ist dann da, wenn eine bestimmte Schranke nicht überschritten wird. Wenn es die Unternehmensleitung zum Beispiel nicht hinnimmt, dass in einer Produktionsstätte grundlegende Sicherheitsstandards aus Kostengründen nicht eingehalten werden. Wenn ein Unternehmen das zur Disposition stellt, dann ist die ethische Perspektive fragwürdig.

Also liegt es auch im Interesse eines Unternehmens sich sozial zu engagieren, ohne Aussicht auf einen direkten Mehrwert?

Genau. Der Mehrwert darf und soll hier nicht der alleinige Antrieb sein, weil das auf Dauer kein sehr verlässlicher Antrieb ist. Ich würde also Ihren anfänglichen Punkt des Altruismus gerne durch den Begriff der Verantwortlichkeit ersetzen. In der Verantwortung unterscheide ich immer zwei Konzepte: Das eher klassische Konzept ist Rechtfertigung geben auf eine Anklage. Das ist aber eher rückwärts gewandt. Ich glaube, was wir heute brauchen ist ein zukunftsorientiertes Verantwortungskonzept, weil wir bestimmte Folgen nicht mehr auf Einzelhandlungen zurückführen können. Das heißt, aufgrund der Komplexität ist jeder nach seinen Möglichkeiten aufgefordert, seinen Beitrag zu liefern, seine Antwort zu geben auf diese Herausforderungen. Und da die Unternehmen politisch und wirtschaftlich immer mehr Macht und Einfluss haben, haben sie auch eine besondere Verantwortung.

Gründet sich diese Verantwortung auch in Art. 14 des deutschen Grundgesetzes, in dem es heißt, dass Eigentum verpflichtet?

Ja, genau so ist das gemeint. Die Möglichkeiten, die ein Unternehmen hat, muss es verantwortlich einsetzen. Ein Unternehmen hat natürlich Verantwortung gegenüber den eigenen Mitarbeitern, aber auch immer der Gesellschaft gegenüber, den Bürgerinnen und Bürgern, für die ein Unternehmen auch wirtschaftet.

In welchen Bereichen engagieren sich Unternehmen am häufigsten?

Oft wollen Unternehmen ihre regionalen Standorte stärken, indem sie vor Ort Aktivitäten unterstützen – dort wo sie verankert und wahrnehmbar sind. Sei es im Sport, in der Kultur oder auch im sozialen Bereich. Deshalb ist es wichtig, das auch global operierende Unternehmen heute nicht ortlos werden, sondern immer in einer bestimmten Region oder in einer bestimmten Kommune verortet bleiben. Und wenn es sich um einen Global Player handelt, dann ist es nicht nur ein Ort, sondern viele verschiedene. Dann kann ein Unternehmen als ein Unternehmensbürger vor Ort wahrnehmbar sein, der ganz konkret dort die Verantwortung übernimmt. Das scheint mir am wichtigsten zu sein.

Interview: Felix Korts

 

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