Unternehmen können nicht altruistisch sein

Interview mit dem Philosophen Christian Schüle über die Motive für CSR

Wieso engagieren sich Unternehmen überhaupt gesellschaftlich? Was haben sie davon? Sind Unternehmer moralischer oder unmoralischer als der Durchschnitt der Bevölkerung? Christian Schüle hat in München und Wien Philosophie und Politische Wissenschaft studiert und ist freier Autor und Publizist. Seine Essays, Feuilletons und Reportagen wurden mehrfach ausgezeichnet. Seit  dem Sommersemester 2015 lehrt Schüle an der Universität der Künste in Berlin. Er befasst sich seit vielen Jahren mit Fragen gesellschaftlicher Verantwortung. Im Interview erklärt er, wieso Unternehmen nicht altruistisch sein müssen und dennoch immer größere gesellschaftliche Verantwortung tragen.

Herr Schüle, CSR ist schwer in Mode, wieso tun Unternehmen plötzlich soviel Gutes?

 Ich glaube, dass die Sehnsucht nach dem Guten die gesellschaftliche Entwicklung widerspiegelt: der Staat zieht sich immer mehr zurück, so dass Leerstellen bleiben für privates Engagement. Zum anderen begreifen wir viele gesellschaftliche Themen heute als globale Phänomene. Dafür sind die großen Unternehmen genau richtig aufgestellt.

Können Unternehmen altruistisch sein, oder sind es immer (nur) die handelnden Personen?

 Unternehmen können per Definition nicht selbstlos sein. Wenn, dann sind einzelne Menschen altruistisch, und ich glaube, dass das nur für sehr wenige gilt. Unternehmen aber gibt es immer, weil sie einen Zweck erfüllen: die Nachfrage nach Ihrem Produkt, die Leistung, die Technik, die kreative Idee, die sie vermarkten. Das heißt: wenn Unternehmen sich gesellschaftlich engagieren, ist das so gut wie nie uneigennützig.

Aus welchen Motiven werden Unternehmer dann zu Wohltätern?

Da muss man unterscheiden, ob einzelne Unternehmer-Persönlichkeiten das Sagen haben, wofür sich die Firma engagiert. Dann handelt es sich um das klassische Mäzenatentum, das heißt, der Mäzen fördert das, was ihm wichtig ist – aus welchem Grund auch immer.

Ist das schlecht?

Nein, aber man sollte es im Kopf behalten: Alle Mäzene haben ihre weltanschauliche Agenda, ob sie Rockefeller heißen, Plattner oder Gates. Sie fördern, was ihnen am Herzen liegt. Denken Sie an Reinhold Würth und seine Museen für Alte Meister.

Wie steht es um die Eitelkeit als Triebfeder?

Die Befriedigung der Eitelkeit war immer schon der immaterielle Profit von Wohltätern, wieso ist denn sonst in amerikanischen Museen jeder Raum nach irgendjemand benannt? Das hört sich banal an, aber im Grunde sind wir alle eitel, mehr oder weniger

Sollte Herr Würth bei seinem Engagement besser aus Sicht des Unternehmens denken?

Er macht das, was ihm am Herzen liegt und fördert großartige Kunst. Generell gilt: je mehr Vermögende ihr Vermögen einsetzen, um die Gesellschaft zu fördern, desto besser ist es. Eine andere Frage ist es, welchen Nutzen, welche Funktion das für die Firma hat. Ich glaube nicht, dass Würths Schraubenfirma jenseits eines möglichen Prestige-Gewinns viel davon hat, wenn ihr Eigentümer Alte Meister kauft und ausstellt.

Gesellschaftliches Engagement als Unternehmensfunktion, ist das zulässig?

Das ist moralisch gesehen der Normalfall. Unternehmen sind funktionaler Teil einer Gesellschaft, sie sind angewiesen auf gute Regierung, Rechtssicherheit und eine verlässliche Verwaltung, auf intakte Umweltbedingungen, aber auch auf soziale Stabilität und sozialen Frieden. Sie wissen, dass sie dazu ihren Beitrag leisten müssen, und wenn es „nur“ darum geht, die Umwelt nicht zu verschmutzen, sparsam mit Ressourcen umzugehen und die Mitarbeiter ordentlich zu behandeln. Das ist nicht altruistisch, sondern liegt im ureigenen Interesse des Unternehmens.

Es existiert in der heutigen Gesellschaft ein Sittlichkeits-Verständnis, ein System ungeschriebener Normen und Werthaltungen, das über die immaterielle Währung des ‚richtigen Images’ organisiert, ein gewisses Verhalten, eine gewisse Ethik bereits voraussetzt, um überhaupt akzeptiert zu werden. Der Markt ist ja auch ein Instrument jeweils herrschender Moral: Wer sich an sozialen Standards versündigt, wird rasch ignoriert. Gäbe ein Unternehmen heute Kinderarbeit zu, wären seine Produkte quasi geächtet.

Die Punkte, die Sie nennen, haben ja unmittelbar mit der Unternehmensaktivität zu tun: Mitarbeiter, Rohstoffe, Umwelt. Wie ist es aber mit Brunnenbohren in Afrika oder Malerarbeiten in Schulen?

Das ‚Gute’ hat auch eine strategische Funktion für das Unternehmen. Ein Konzern oder eine Firma  hat so die Möglichkeit, sich als attraktiv darzustellen – seinen Mitarbeitern gegenüber, den Kunden, der Branche, dem Standort. Wenn Unternehmen das clever machen, kann gesellschaftliches Engagement ein sehr gutes Kommunikationsinstrument darstellen.

Geht das wirklich so einfach: das Gute mit dem Business zu verbinden?

Eine ethische Regel lautet: Sollen setzt Können voraus. Und Können entsteht aus unternehmerischem Erfolg, also ganz banal: durch Profit. Je mehr Handlungsspielraum jemand hat, desto höher ist aber auch seine gesellschaftliche Verantwortung. Deshalb müssen heute bei globalen Herausforderungen besonders die großen Unternehmen in Vorleistung gehen. Unternehmen, meine ich, sollten am Markt, sollten von ihren Kunden auch danach bewertet werden, wie sie sich ethisch verhalten.

Ist gesellschaftliches Engagement von Unternehmen gleichwertig zu dem von NGOs, UNO, o.ä.?

Ich will da keine Ordnung aufstellen. Unternehmer und Manager handeln nicht moralischer oder unmoralischer als der Durchschnitt der Menschen. Auch nicht anders als die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Man muss immer die Rahmenbedingungen beachten, unter denen sie sich engagieren können. Und die sind für UN-Organisationen natürlich ganz andere als für Unternehmen. Aber wenn Sie sich ansehen, was die Bill Gates Stiftung zum Beispiel in Afrika macht, dann verschwimmen diese Grenzen auch wieder.

In welchen Bereichen sehen Sie Unternehmen besonders, gern unterstützt werden ja Projekte mit Kindern?

Das ist nicht entscheidend, obwohl das Thema Kinder populär ist. Wenn dann aber alle auf Kinderprojekte setzen, wirkt es als Kommunikationsmittel nicht mehr. Ich meine, Unternehmen sollten sich dort engagieren, wo sie Ahnung haben und glaubhaft eigenes Knowhow einbringen können, das macht, ethisch betrachtet, Glaubwürdigkeit und Vertrauen erst möglich, und um nichts anderes geht es heute.

Wo sehen Sie die Grenzen für unternehmerisch gesehenes gesellschaftliches Engagement?

Wichtig ist, dass man bei Unternehmen genau hinschaut und versteht, was sie tun, und aus welchem Grund. Ich plädiere daher für Standards, auch für eine Berichtspflicht ab einer bestimmten Größe. Kommunikations- oder Werbenutzen ist völlig in Ordnung, aber kritisch wird es, wenn Unternehmen Defizite oder sogar Vergehen mit gesellschaftlichem Engagement bemänteln wollen. Und ich denke auch, dass Unternehmen nicht Aufgaben aus den Kernbereichen des Staates übernehmen sollen.

Ist der polemische Begriff des „Gutmenschen“ auch auf Unternehmen übertragbar?

Bei dieser Polemik geht es ja wohl um dahinter stehende moralische Selbstgerechtigkeit und individuellen Egoismus, nicht um das Engagement an sich. Insofern wäre das auf Unternehmen durchaus zu übertragen, aber ich sage auch klar und deutlich: Moralisch besser verhält sich immer der, der etwas tut, er verhält sich immer besser als der, der nichts tut und glaubt, über die anderen urteilen zu können.

(Interview: Gerd Henghuber)