Erst einmal zuhören: Worauf es ankommt, dass Flüchtlingsprojekte gelingen

Der Oblaten-Pater Alfred Tönnis hat im oberschwäbischen Oggelsbeuren mit einem großen Team ein beispielhaftes Flüchtlingsprojekt aufgezogen. Der ganze Ort macht mit, Anfeindungen gibt es nicht. Im Interview verrät Pater Alfred, welche Regeln bei einem solchen Projekt zu beachten sind – und was ihn am Ende selbst überrascht hat.

Pater Alfred, wurde Ihr Flüchtlingszentrum in dem kleinen schwäbischen Dorf Oggelsbeuren bereits Opfer von Anfeindungen?

Nein. Von Anfeindungen können wir nicht reden. Gott sei Dank. In Oberschwaben ist die Welt anscheinend noch in Ordnung. Wir bemühen uns mit den Menschen, die hier beheimatet sind, Heimat für andere zu gestalten.

Aber am Stammtisch wird schon auch geschimpft, oder?

Gegner gibt es überall. Aber solch ein offenes Geschimpfe gibt es mehr hinter den Kulissen. Anonyme Post, usw. Ich bin auch nicht in den Kreisen dieser Schimpfer.

Was sind die Erfolgsfaktoren für ein Flüchtlingsprojekt mitten auf dem Land?

Ich glaube, es ist kein Unterscheid, ob Land oder Stadt. Man muss einfach ein paar Regeln beachten, wenn ein solches Projekt gelingen soll.

Welche Regeln sind das?

Zum einen muss man schon im Vorfeld die Öffentlichkeit intensiv einbinden. Das heißt: alle Verantwortlichen, Gremien, Parteien. Es geht auch um die örtlichen Machtverhältnisse. Ich bin, bevor der erste Flüchtling kam, wirklich von Pontius bis Pilatus gelaufen und habe nicht immer nur für unser Projekt geworben, sondern alle auch um ihre Meinung gefragt. Dabei hatte ich ein gutes Team. Dieses hat toll mitgezogen. Menschen wollen beachtet werden und sich wertgeschätzt fühlen. Man spricht bei vermeintlich unpopulären Entscheidungen ja oft davon, dass man die Menschen mitnehmen müsse. Das geht gar nicht, wenn man nicht zuerst zuhört, und dann selbst etwas mitnimmt aus den Gesprächen.

Die weiteren Regeln sind: klare und transparente organisatorische Strukturen entwickeln, Fachleute einbeziehen, lokale Verhältnisse beachten, und dann: Menschen mit ihren Ideen, ihrer Energie einbinden. Diese Aktiven in einem solchen Projekt sind unheimlich wichtige Botschafter.

Und das alles hat in Oggelsbeuren gepasst?

Das kann man wirklich sagen. Hinzu kommt, dass die Menschen dort seit Jahrzehnten stark verbunden sind mit dem früheren Waisenhaus, das auch schon einmal eine Einrichtung für Schwererziehbare war. Und jetzt wohnen dort eben Flüchtlinge.

Aber es gab doch sicher auch Widerstände, Ängste der Menschen? Wie sind sie denen begegnet?

Sicher gab es die, und die darf man auch nicht wegwischen, sondern muss sie stehen lassen. Es ist ja eine Tatsache, dass da Menschen aus anderen Kulturen kommen, die ein anderes Frauenbild haben, ein anderes Benehmen, andere Riten, andere politische Vorstellungen. Das muss man benennen und thematisieren.

Genau das macht heute vielen Menschen Angst.

Ja, und auch diese Angst muss man stehen lassen und darf sie nicht von oben her wegwischen. Das wäre naiv. Die Lösung bei uns in Oggelsbeuren besteht darin, dass wir möglichst viele, sagen wir, vertrauensbildende Maßnahmen anbieten. Begegnungen, Erfahrungsaustausch, gemeinsame Feiern. Damit haben wir den Graben zwischen den Flüchtlingen und den Einheimischen rasch überbrücken können. Gerade die Syrer sind ja unheimlich gastfreundlich. Mit ihren so wenigen Mitteln zaubern sie jedes Mal ein Willkommensritual, wenn man zu ihnen in die Wohnung, ins Zimmer kommt. Da haben viele unserer Landsleute ganz schön geschaut, was diese Menschen aus dem wenigen machen, was sie haben.

Was war Ihre größte Überraschung in den zwei Jahren?

Dass sich Menschen durch unser Projekt wieder der Kirche angenähert haben, von der sie sich innerlich wahrscheinlich schon lange verabschiedet hatten. Bei uns machen gerade nicht die ganz Frommen mit, sondern eher die mit gebrochenen Beziehungen. Das ist eine ungeheure Chance für unsere saturierte aber immer stärker schrumpfende Kirche: durch überzeugende soziale Projekte, die von vielen Menschen getragen werden, erreichen wir wieder Menschen, die sonst niemals in die Kirche kommen würden. Wir haben so die Chance, uns als christliches Abendland zu definieren: nicht durch Parolen sondern durch tätige Barmherzigkeit. Das ist der Kern des Christentums.

Was ist das Wichtigste, das Flüchtlinge lernen müssen?

Die Wertschätzung, die wir ihnen gegenüber aufbringen müssen sie auch umdrehen und unsere Kultur achten, unsere Vorbehalte, unsere Traditionen, auch unsere Ängste. Dass Frauen in absolut jeder Hinsicht gleich berechtigt sind, darf in keiner Situation auch nur dem leisesten Zweifel unterworfen sein. Ich bin da manchmal auch sehr streng mit den jungen Kerlen bei uns.

Welches Potenzial sehen sie in einer gelungenen Integration?

Wir brauchen tatkräftige junge Leute, wir sehen aber auch, dass die jungen Flüchtlinge noch nicht ganz so leistungsfähig, vielleicht auch leistungswillig sind wie wir Deutschen, die es einfach anders gewohnt sind. Da müssen wir unsere neuen Landsleute heranführen. Sprache ist im Vergleich zu den tiefer liegenden Mentalitäten sehr schnell gelernt, genau da müssen wir aber ansetzen, wenn Integration gelingen soll.

Interview: Gerd Henghuber

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